Haushaltsrede 2021 Grüne Liste – Axel Baumbusch


Haushaltsrede 30.11.2020
der Grünen Liste Gemeinderatsfraktion

  • Axel Baumbusch –
    Es gilt das gesprochene Wort

    Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
    sehr geehrte Bürgermeisterinnen,
    sehr geehrte Gemeinderätinnen,
    sehr geehrte Verwaltungsmitarbeiterinnen,
    sehr geehrte Zuhörerinnen,
    sehr geehrte Vertreterinnen der Presse,
    in Zeiten des Wandels ist Perspektivenwechsel gefragt.
    Deshalb verwende ich heute ganz bewusst das generische Femininum und beziehe darin ganz ausdrücklich alle anderen Geschlechter mit ein.
    Pforzheim ist schön!
    Das ist kein Schönreden, sondern meine ehrliche Überzeugung. Denn meine Heimatstadt Pforzheim hat viele Trümpfe:
    Sie ist demografisch die jüngste Großstadt Baden-Württembergs, worum uns viele beneiden.
    Sie hat den prozentual zur Stadtfläche höchsten Waldanteil aller Großstädte in diesem Land, ein kostbares Gut für nachkommende Generationen, das nicht auf dem Altar einer fragwürdigen Ausweitung von Gewerbeflächen wie dem Ochsenwäldle geopfert werden darf.

    Pforzheim ist Standort einer Hochschule, die alljährlich Bestplätze in internationalen Rankings abfischt und die in Sachen Ressourceneffizienzmanagement, neue Technologien und Kreativität ein lokaler Think Tank ist, der von der Stadt viel zu wenig angezapft wird.
    Ihr Leitbild lautet übrigens: „Führend durch Perspektivwechsel“.
    Ein weiteres Plus: In unserer Stadt operieren etliche Global Player, die schon vor Jahren und Jahrzehnten den Strukturwandel tatkräftig, mit viel Innovationskraft und Kreativität angegangen haben. Slogans wie die von Witzenmann „managing flexibility“ oder „in alle Richtungen beweglich“ weisen den Weg in die Zukunft.
    Schon Albert Einstein sagte: „ Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“
    Das haben leider zu wenige Unternehmen und Institutionen in Wirtschaft, Verwaltung, Bildung, Sozialem und Kultur beherzigt.
    Ohne die vielbeschworenen 21st Century Skills, also jene Kompetenzen, die es braucht, um in einer stetig komplexeren und globaleren Welt zu bestehen und die drängenden Gegenwarts- und Zukunftsprobleme des 21. Jahrhunderts zu lösen, kommen wir als Stadt nicht voran.
    Diese Skills sind: Kommunikation, Kooperation, Kreativität und kritisches Denken.
    Kurz: Die vier „K“: Wir müssen besser kommunizieren, d.h. weniger reden, mehr zuhören, mehr verstehen. Vor allem auch denen zuhören, die zu wenig oder gar nicht zu Wort kommen. Und nicht nur jenen, die meinen, sie hätten etwas zu sagen. Wir müssen uns in kooperativem Handeln, sprich: in Zusammenarbeit üben. Denn einzelne lösen nicht die komplexen Problemlagen dieser Stadt, die nicht nur lokale, sondern auch viele globale Ursachen hat. Wir brauchen kreative, neue Denk- und Handlungsansätze und sollten aus den hier mit Hochschule und EMMA Kreativzentrum vorhandenen Ressourcen kraftvoll schöpfen. Wir brauchen kein ständiges Bruddeln, keine Besserwisserei, sondern ehrliches kritisches Denken, bei dem die Sache und nicht persönliche Befindlichkeit im Vordergrund steht.
    Deshalb mein Appell: Lassen Sie uns gemeinsam die vielen guten Ansätze der letzten Jahre mit Leben füllen! Lassen Sie uns neue Wege in die Zukunft gehen! Etwa bei folgenden Themen:
  • Erstens: Familienfreundliche Stadt
    Ein Slogan, mit dem OB Boch einst ins Amt gestartet ist. Soll es nicht beim Lippenbekenntnis bleiben, müssen wir hier ordentlich nachlegen, vor allem bei den Bildungschancen unserer Kinder und Jugendlichen. Stichwort: Kita-Plätze, Insel Campus, Ganztags- und alternative Betreuungsangebote, Freiflächen für Freizeitaktivitäten wie Sport oder die in PF stiefmütterlich behandelte Kinder- und Jugendkultur sowie außerschulisches Lernen, Alltagsbildung und Community Learning. Denn das verkrustete System Schule ist als alleiniger Bildungsort schon lange nicht mehr zukunftsfähig. Wir müssen in den Tallagen, wo viele kinderreiche Familien leben, zu deren gesundheitlichem Wohl einen Lärmschutzplan umsetzen, Tempo 30 einführen und neue mobile Konzepte fördern, die den Individualverkehr in der Stadt drosseln. Wir brauchen ein Familienbad und mehr Bewegungsangebote. Die Grüne Liste fordert darüber hinaus ein abgestimmtes Konzept zur inneren
    Sicherheit, damit Familien und alle Bürgerinnen sich hier wohl fühlen. Und eine Null-Toleranz-Politik gegenüber jeder Form von Grenzüberschreitung, die dem Gemeinwohl schadet.
    Das fängt bei der weggeworfenen Zigarettenkippe an, meint Dauerfalschparker und Müllsünder, Respektlosigkeit oder Gewalt gegenüber Vertretern dieser Stadt oder des Staates. Hier, Herr Oberbürgermeister Boch und Herr Erster Bürgermeister Büscher, hier haben Sie versagt.
    Die Grüne Liste plädiert für eine neue Kultur des Sich Kümmerns, Einmischens und Handelns, für eine Kultur der Teilhabe und Mitwirkung, in der Verantwortung an die Bürgerinnen delegiert und Beobachtende zu Akteurinnen werden.
  • Zweitens: Smart City
    Smart Benches, ein paar wenige digitalisierte, bürgerfreundlichere Verwaltungsleistungen, vereinzelte Hackathons oder ein intelligentes Parkleitsystem reichen offensichtlich nicht aus, um Pforzheim als Smart City förderfähig zu machen. Zweimal schon ist PF bei der Bundesförderung leer ausgegangen. Liegt es am Konzept? Beim dritten Anlauf muss es klappen. Oder zumindest bei der Bewerbung um den Innovationspark KI.
    Digitalisierung ist indes nicht nur eine technische oder infrastrukturelle Entwicklung, sondern ein gesellschaftlicher und kultureller Prozess, der unser Zusammenleben stetig ändert. So sorgt Instagram dafür, dass Bilder mittlerweile Hauptnachrichtenträger sind; Google ist längst nicht mehr nur eine Suchmaschine, sondern die zweitwichtigste Stellenbörse zur Gewinnung von qualifiziertem, jungem (!) Fachpersonal. Wer Digitalisierung will, muss sich auch auf flexible und agile Prozessstrukturen und Handlungskonzepte wie etwa Scrum und Design Thinking einlassen, muss interdisziplinäre Teamarbeit fördern und flache Hierarchien einführen. Auch das gehört in einer VUCA-Welt, einer Welt voller Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit dazu, um neue Lösungsansätze zu entwickeln. Die aktuelle Corona-Krise ist wie ein Brennglas auf all diese Problemstellungen.
  • Drittens: Internationale, weltoffene Stadt
    57 Prozent der Bürgerschaft entstammt einer Familie mit Migrationshintergrund. Dabei wird gerne ausgeblendet, dass in Sachen gesellschaftlicher Teilhabe und wechselseitiger Integration erheblicher Nachholbedarf besteht.
    Der Schlüsselbegriff Diversität bezieht sich nicht nur auf die ethnische Herkunft, sondern auch auf Gender, kulturelle und religiöse Prägung, Bildung und auf sozialen Status. Wir können gerne die Zusammensetzung des aktuellen Gemeinderats oder die Führungsriegen der Stadtverwaltung als Beispiel dafür nehmen, wie wenig sich die Themen Diversität, Weltoffenheit, Internationalität darin abbilden. Andere Städte betreiben längst ein Diversitätsmanagement und setzen ihre Internationalität im Stadtmarketing ein (Beispiel Mannheim)
  • Viertens: Pforzheim als Schlaf- und Wohnstadt zwischen den Zentren Karlsruhe und Stuttgart
    Eine seit langem propagierte Idee der Grünen Liste. Auch mit Blick auf den Haushalt. Denn die Einnahmen aus der Einkommenssteuer sind höher und beständiger als die, den Konjunkturläufen unterworfenen, Gewerbesteuerzuflüsse.
    Wir sagen ja zu Weiterentwicklung und Clusterbildung vorhandener Unternehmensressourcen vor Ort und in der Region bei gleichzeitiger Ablehnung von ungewissen Neuansiedelungen. Der Zuzug von steuertechnisch soliden Bürgerinnen konsolidiert den Haushalt, indem er die stetig steigenden Sozialleistungen der hohen Zahl von Einwohnerinnen in prekären Lebensverhältnissen in oder nahe der Armutsgrenze ausgleicht.
    Und gleichzeitig dringend notwendige Zukunftsinvestitionen – etwa in Bildung – ermöglicht. Zugleich unterstützt diese Strategie den darbenden Pforzheimer Einzelhandel und setzt Anreize für die Wohnungsbauwirtschaft; auch für innovative Wohnformen und Bautechniken (Beispiel: Holzhäuser) im Sinne einer Nachverdichtung ohne zusätzlichen Flächenverbrauch.
    Eine Stadtentwicklungsgesellschaft kann hier neue Impulse setzen.
    Wesentliche Voraussetzung für den Zuzug einkommensstarker, qualifizierter Fachkräfte sind indes: eine gute Infrastruktur bei Bildung und Kultur. Deshalb lassen Sie uns hier ansetzen! Der Insel Campus und weitere Kitaeinrichtungen sind ein Auftakt und eine Investition in die Zukunft, deren Mehrwert sich in wenigen Jahren rechnen wird.
  • Fünftens: Nachhaltigkeit
    Seit Herbst 2019 ist PF Fairtrade Stadt.
    Ein wichtiges Signal.
    Doch wie setzen wir die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN und die Agenda 2030 samt den Pariser Klimaschutzzielen auf lokaler Ebene strategisch um? Zumal Nachhaltigkeit sich nicht nur auf die Säulen Ökologie und Ökonomie bezieht, sondern auch auf Gesellschaft und Soziales, etwa die Bekämpfung der in Pforzheim überproportional vertretenen Armut und Kinderarmut.
    Wo spiegelt sich die – auf Ressourcenschonung, Klimaneutralität und ein gutes Leben für alle ausgerichtete – Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe kommunalen Handelns in der Stadtpolitik wider?
    Hier herrscht Nachbesserungsbedarf.
    Nicht zu vergessen: die Rolle der Kultur in dieser Debatte und ihr Potenzial, für Nachhaltigkeitsthemen zu sensibilisieren. Wie das Projekt „A Fair Land“ auf dem Waisenhausplatz im Sommer exemplarisch zeigte. Denn unsere unmittelbare Umwelt hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir leben.
    Hier eröffnet eine hoffentlich visionär gedachte, international inspirierte und experimentierfreudig ausgestaltete ORNAMENTA 2024 neue Denk- und Handlungsoptionen mit Kultur als Triebfeder einer nachhaltigen kulturellen Stadtentwicklung.

    Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Zuhörerinnen.
    Vor uns liegen angesichts einer komplexen Themenfülle anspruchsvolle Haushaltsberatungen. Doch verwechseln wir dabei nicht das Mittel mit dem Zweck. Der Haushalt ist „nur“ das Instrument, um unsere Visionen und Ziele für diese Stadt umzusetzen. Auch wenn wir jetzt pandemiebedingt mit dem einjährigen Haushalt 2021 kurzfristig „auf Sicht fahren“ bedeutet das nicht, dass wir keine mittel- und langfristigen Visionen und Ziele verfolgen und strategisch handeln dürfen. Im Gegenteil: Wenn uns das Wohl unserer Kinder und Kindeskinder am Herzen liegt, müssen wir über das Hier und Heute hinausblicken. Wenn wir die bereits in vollem Gang befindlichen Transformationsprozesse (Digitalisierung, demografischer Wandel, Klimaschutz) gestalten und nicht nur darauf reagieren wollen, brauchen wir einen Paradigmen- und Perspektivwechsel mitsamt neuen Methoden und Handlungskonzepten, etwa die Akquise von Finanzmitteln durch strategisches Sponsoring, Crowdfunding und Drittmittelakquise. All das sollten wir in den kleinteiligen Abstimmungsprozessen in den Haushaltsberatungen der kommenden Tage nicht aus dem Blick verlieren.
    Damit Pforzheim schön bleibt!
    Zu guter Letzt möchten wir uns bei all denjenigen in der Verwaltung bedanken, die sich engagiert zum Wohle dieser Stadt einsetzen.
    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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