PZ: WSP steht auch für „Wir suchen Personal“

WSP steht auch für „Wir suchen Personal“

 Städtischer Eigenbetrieb ringt seit Jahren um zukunftsträchtige Linie.

 Baustellen ziehen sich durch alle Bereiche – und es werden immer mehr.

CLAUDIUS ERB | PFORZHEIM

Die Abkürzung „N. N.“ findet sich demnächst gleich 13-mal im personellen Organigramm des städtischen Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP). Sie steht für das lateinische „Nomen nominandum“ und lässt sich mit „noch zu nennender Name“ übersetzen. Sprich: Für 13 von 54 Aufgabenfeldern, die allerdings teils in Personalunion beackert werden, fehlen Mitarbeiter. Acht von 43Stellen sind vakant. Besonders kritisch: Alle drei übergeordneten Geschäftsbereiche direkt unter WSP-Direktor Oliver Reitz sind führungslos, wenn die noch in dessen Probezeit verkündete Trennung von Marketingchef Sascha Binoth endgültig vollzogen ist. Heftiger denn je sind damit die Turbulenzen, durch die der WSP seit Jahren schlingert, und auch Reitz selbst bläst im politischen Raum der Gegenwind immer schärfer ins Gesicht.

Der oberste Wirtschaftsförderer Reiner Müller im Ruhestand, der erst seit September amtierende Binoth als Herr übers neu zusammengefasste Standort- und Kongressmarketing bald weg und auch die Leitung des dritten Geschäftsbereichs Administration und Finanzen verwaist, weil Hannah Jahn den WSP verlassen hat: Reitz an der erweiterten Spitze steht derzeit ziemlich alleine da. Weitere gute Leute haben Pforzheim den Rücken gekehrt, unter anderem Meike Ahrens – die Fachbereichsleiterin für Standort- und Projektentwicklung wechselte im vergangenen Frühjahr nach zehn Jahren vom WSP zur Wirtschaftsförderung Rhein-Neckar-Kreis in Heidelberg.

Andere kommen gar nicht erst: Der designierte neue Wirtschaftsförderer Ansgar Roese, vom Gemeinderat gewählt und mit Vorschusslorbeeren bedacht, entschied sich im Juni 2018 vor Amtsantritt wieder um und blieb doch bei seiner bisherigen Arbeitgeberin, der Stadt Frankfurt. Mit der Folge, dass Reiner Müller, der eigentlich im August in Ruhestand gehen wollte, noch einige Monate weitermachte. Eine ähnlich unerwartete Zugabe musste auch Günter Ihlenfeld geben, der im CongressCentrum so lange die Stellung hielt, bis sich Stadtverwaltung und Gemeinderat nach kontroversen Diskussionen auf eine künftige Ausrichtung geeinigt hatten, um die bisherigen Aufgaben der Pforzheim Kongress und Marketing (PKM) GmbH in den WSP zu integrieren. Eben durch den Geschäftsbereich Standort- und Kongressmarketing sollte eine langfristige Vermarktung der gesamtstädtischen Attraktionen aus einer Hand und einem Guss ermöglicht werden; dies ist durch Binoths Aus zumindest vorerst wieder Makulatur.

WSP-Direktor Reitz verweist, wie bereits in der gestrigen PZ-Ausgabe berichtet, auf erneut anstehende Elternzeitvertretungen bei Hochschulservice und Fachkräftesicherung sowie im Tourismusmarketing, aber auch darauf, dass „die ZPT-Leitung hoffentlich nach erneuter Ausschreibung bald besetzt werden“ könne. Ein Leuchtturmprojekt für Pforzheim soll das Zentrum für Präzisionstechnik werden, und doch wurde die Leitung wiederholt erfolglos ausgeschrieben. Reitz räumt zudem ein, dass angesichts der Summe von Vakanzen viele WSP-Mitarbeiter aktuell „über das ohnehin schon hohe Auslastungsmaß hinaus gefordert“ seien und Tätigkeiten aus anderen Aufgabenfelder übernähmen.

Diese Unterbesetzung im Haus, die sicher nicht auf die Schnelle komplett aufzulösen ist, schmälert dessen Attraktivität für potenzielle Bewerber weiter. Und dies in Zeiten, in denen der Arbeitsmarkt generell „volatil“ (unbeständig, sprunghaft) sei, wie der städtische Sprecher Philip Mukherjee bestätigt. Mit anderen Worten: Die allgemein gute wirtschaftliche Lage verringert die Chancen der Stadt Pforzheim und ihres Eigenbetriebs WSP bei der Personalakquise. Andernorts können kommunale Standortförderer dank voller Kassen klotzen – in Städten, deren strukturellen Defizite deutlich geringer sind als jene der Goldstadt, die ohnehin gegen ihr Imageproblem anzukämpfen hat. Reitz steht im Ruch, bei Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) insbesondere deshalb einen solch guten Stand zu haben, weil er bereitwillig im eigenen Haus den Rotstift ansetze, um den von der Stadt zu deckenden Verlust des WSP, den weitere Verbindlichkeiten drücken, von aktuell jährlich rund 7,5Millionen Euro zu verringern.

Hinzu kommt: Was intern vor sich geht, spricht sich in einer überschaubaren und gut vernetzten Branche herum. Schon zwischen Reitz und dem im Vorjahr im Alter von 63 Jahren in den Ruhestand getretenen Citymanager Rüdiger Fricke hatte es hörbar geknirscht. Fricke wirkte am Ende frustriert. Auch das Schicksal Binoths, lange Jahre Karlsruher Citymanager und weiter ein führender Kopf im Landesvorstand der City- und Stadtmarketinggesellschaften, wird ganz sicher überregional genau beäugt. Im Personal rumort es mehr denn je. So ist aus Mitarbeiterkreisen zu hören, Reitz habe intern offen Stimmung gegen Binoth gemacht. Es herrsche zeitweise ein harscher Ton, dafür gebe es zu wenig konstruktiven Austausch.

Aus der Geschäftswelt ebben die Reaktionen auf das Binoth-Aus nicht ab, die von Enttäuschung bis hin zu Entsetzen reichen. Von einer „Katastrophe“ hatte etwa „Saturn“-Chef Timo Gsell gesprochen. Gestern betonte die Interessengemeinschaft Wilferdinger Höhe in einer Stellungnahme, Binoth als „sehr einfallsreich und engagiert“ kennengelernt zu haben, insbesondere im Bestreben, „die komplette Stadt Pforzheim weiterbringen“ zu wollen. Nach den ersten Treffen mit Binoth „haben wir uns auf die Umsetzung der Ideen und gemeinsamen Projekte gefreut“ so die IG Wihö.

Kritik an Reitz wird in Handel und Gastronomie heftig, aber hauptsächlich hinter vorgehaltener Hand geäußert – man will die Basis für eine künftige Zusammenarbeit nicht zerstören. Wie der WSP-Direktor der PZ sagte, werde er – „unabhängig davon, wie schnell eine Neubesetzung erfolgen kann“ – in Binoths bisherigem Handlungsfeld „zunächst wieder etwas stärker selbst aktiv“ werden. „Den bisherigen Geschäftsbereich Standortmarketing hatte ich ja bereits drei Jahre lang kommissarisch in Personalunion geführt.“ Für die Zukunft der Wirtschaftsförderung kündigt die Stadt an, dem Gemeinderat „schon bald konkrete personelle Vorschläge zu unterbreiten“.

Deutliche Worte wegen der Entwicklung und ihrer Informationspolitik mussten sich Reitz und die Spitze der Stadtverwaltung aus Gemeinderatsfraktionen anhören – gestern nichtöffentlich im Hauptausschuss, zuvor in öffentlichen Reaktionen. Besonders scharf hatten etwa SPD-Fraktionschef Ralf Fuhrmann, der „parteipolitische Interessen“ der CDU als Triebfeder befürchtet, und Axel Baumbusch (Grüne Liste) geschossen, der sich „mehr als überrascht“ zeigte, „dass man nicht die Rolle des Herrn Reitz einmal hinterfragt“.

Dass auch der Chefposten dieses Eigenbetriebs, um dessen strategische Linie seit jeher gerungen wird, ein „volatiler“ sein kann, hat sich bei Reitz’ Vorgänger gezeigt: Christoph Dickmanns verließ 2012 nach nur fünf Jahren den WSP.

Quelle: Pforzheimer Zeitung


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