PZ: Kampf um Kulturen und Kompetenzen

Kampf um Kultur und Kompetenzen

Die Kulturhauptstadt-Debatte führt die Kluft zwischen OB Peter Boch und Dezernentin Sibylle Schüssler vor Augen. Kontrovers wird aber auch die Zukunftsvision für Pforzheim diskutiert.

CLAUDIUS ERB | PFORZHEIM

Der Streit um eine Bewerbung Pforzheims als Europäische Kulturhauptstadt hat viele Facetten – das führte am Dienstag die Sitzung des Kulturausschusses vor Augen, die zeitweise skurrile Züge hatte. Kulturbürgermeisterin Sibylle Schüssler stellte die Vorzüge und Chancen einer Bewerbung heraus, um dann eine Beschlussvorlage der Verwaltungsspitze zur Abstimmung zu bringen, die eine Ablehnung empfiehlt (die PZ berichtete). Das wirft Fragen auf: Darf ein Dezernent einem Oberbürgermeister so in die Parade fahren? Wie wird Peter Boch reagieren? Warum scheidet das Thema derart die Geister? Die PZ liefert Antworten.

◆  Wie beurteilen Beobachter die offene Meinungsverschiedenheit zwischen Bürgermeisterin Schüssler (früher Grüne Liste) und OB Boch (CDU)?

„Von allen Dezernaten muss erwartet werden, dass sie sich mit dem OB abstimmen und seine Linie vertreten“, hatte der CDU-Kreisvorsitzende Gunther Krichbaum vor der Sitzung gesagt. Ein Bürgermeister müsse Anwalt seines Dezernats sein, betonte gestern CDU-Fraktionschef Florentin Goldmann. Aber „am Ende des Tages gibt der OB die Richtung vor“. Offenbar habe Boch Vertrauen in seine Dezernenten, dass sie das intern Besprochene nach außen tragen. Er empfehle der Verwaltung dringend, „ernste Gespräche“ zu führen, so Goldmann. Denn wenn das Vertrauen nicht fruchte, „muss man vielleicht auch Konsequenzen ziehen“.

Ein Bürgermeister dürfe intern Anwalt seines Dezernats sein, urteilt auch FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke: „Aber der OB ist der Chef, und wenn die Entscheidung im Rathaus gefallen ist, hat auch eine Dezernentin sie zu vertreten.“ Jüngst hatte Rülke Schüssler mit Bundesinnenminister Horst Seehofer verglichen. Nun sagt er: „Der Chef vertritt eine Position, und eine Untergebene kämpft in der Öffentlichkeit verbissen dagegen – damit beschädigt sie sich selber, aber sie beschädigt auch den OB.“ AfD-Chef Bernd Grimmer, der 1984 für die Grünen ins Gremium einzog, sagte im Ausschuss: „Ich habe in meiner langjährigen Tätigkeit als Gemeinderat noch nie eine so widersprüchliche Verhaltensweise einer Verwaltung erlebt.“

Grüne-Liste-Chef Axel Baumbusch dagegen ist der Meinung, dass ein Dezernent für seine Sache so lange eintreten müsse, bis es einen Gemeinderatsbeschluss gebe. Aus seiner Sicht hätte sich Boch der Debatte stellen müssen – auch im Ausschuss. Dass Schüssler gegen ihre Überzeugung eine vom OB diktierte Beilage habe präsentieren müssen, sei „nahezu entmündigend für eine Dezernentin“.

◆  Was sagen die beiden Betroffenen selbst?

Zunächst sei es selbstverständlich, „dass die Kulturdezernentin auch Anwältin der Kultur ist“, sagt Schüssler und betont: „Alle Schritte, die von mir in dieser Sache unternommen wurden, waren mit dem OB abgestimmt. In diesem Sinne von Kompetenzüberschreitung zu reden, erschließt sich mir nicht.“ Sie arbeite – „zugegeben mit großem Enthusiasmus“ – einen Antrag aus den Reihen des Gemeinderats ab, der in letzter Instanz auch beschließe, wie mit einer möglichen Bewerbung umzugehen sei.

„Meine Position zur Kulturhauptstadt steht“, bekräftigt indes Oberbürgermeister Boch. Es gebe eine klare Haltung, die „für die gesamte Stadtverwaltung bindend“ sei: „Dementsprechend erwarte ich, dass die Diskussion auf der Bürgermeisterbank beendet wird!“ Dies sei jetzt Sache der Gremien. „Im Kulturausschuss hat die von mir formulierte Position ja erfreulicherweise bereits eine Mehrheit gefunden.“

◆  Wie sieht es verwaltungsrechtlich aus – drohen Schüssler Konsequenzen?

Die in der Gemeindeordnung als Beigeordnete bezeichneten Personen seien in ihrem Dezernat weitgehend selbstständig in der Aufgabenerledigung, erläutert Jürgen Fleckenstein, an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl Professor für Rechts- und Kommunalwissenschaften. Vollkommen selbstständig seien sie aber nicht, weil sie den Weisungen des (Ober-)Bürgermeisters unterworfen seien. Diese in Paragraf 49, Absatz 2, der Gemeindeordnung geregelte Einschränkung sei darin begründet, dass der (Ober-)Bürgermeister letztlich die Verantwortung für alle Gemeindebediensteten gegenüber dem Gemeinderat und den Bürgern habe. Auf die Pforzheimer Situation bezogen heißt das: Die Dezernentin müsse nicht zwingend gleicher Meinung wie der OB sein. Dieser könnte die Bürgermeisterin aber anweisen, seine beziehungsweise die Linie der Verwaltung auch gegenüber dem Gemeinderat zu vertreten. Sollte Schüssler sich dieser Weisung entziehen, könnte das „eventuell disziplinarische Konsequenzen haben“, so Fleckenstein: „Diese gehen aber nicht so weit, dass der Job dadurch in Frage steht.“ Beigeordnete seien auf acht Jahre gewählte Beamte und könnten „nur bei äußerst schwerwiegenden Verfehlungen aus dem Amt entfernt“ werden. Eine einseitige Entziehung von Zuständigkeitsbereichen durch den OB sei nicht möglich. Die Geschäftskreise der Beigeordneten müssten von OB und Gemeinderat gemeinsam abgegrenzt werden.

◆  Warum wird die Debatte so emotional geführt?

Weil der Riss nicht nur durch die Bürgermeisterbank, sondern auch durch den Gemeinderat, gar durch Fraktionen geht und selbst Gegner positive Seiten sehen. Auch CDU-Chef Goldmann sieht die Kulturhauptstadt als „Riesenchance“. Die Bereitschaft privater Investoren, einen Großteil des Projekts zu stemmen, sei „aller Ehren wert“. Aber die Stadt sei klamm, andere Projekte wie City-Ost und ZPT erforderten vollen Einsatz. Rülke bezeichnet Schüsslers in einer offenbar nicht mit dem OB abgestimmten Mitteilung aufgestellte Rechnung, wonach das Projekt von Sponsoren faktisch kostenneutral für die Stadt zu stemmen sei, als „vollkommen absurd“.

Baumbusch sieht die Diskussion von Boch zu früh abgewürgt und wirft ihm wie großen Teilen des Gremiums „Kleingeistigkeit“ vor. Wolle die Stadt nur Pflichtaufgaben abarbeiten, „werden wir in den nächsten 20 Jahren nicht aus dem Hamsterrad herauskommen – das wäre der Tod einer Stadt“. Das Projekt würde viel mehr als nur die Kultur befördern (siehe „Ein Großprojekt soll Brücken bauen“).

Ein Großprojekt soll Brücken bauen

Warum nicht einen „Kindergarten der Kulturen“ schaffen, wie es Grüne-Liste Chef Axel Baumbusch vorschwebt? Warum nicht Wirtschaft und Tourismus einbeziehen, um die Stadt für Fach- und Führungskräfte attraktiv zu machen? Wie vielfältig das Projekt Kulturhauptstadt wirken könnte, führen just in der morgen startenden Werkschau 18 Studierende des Masterstudiengangs „Creative Direction“ vor Augen. Im Fokus ihrer fünf Kulturkonzepte stehen Lösungsansätze zur Integration als Impulse für ein großangelegtes Projekt, das auf eine Bewerbung als Kulturhauptstadt abzielt. „Wir sehen eine solche Bewerbung als Wirkungsbeschleuniger für die Integration in der Stadt“, so Sandra Oßwald (24). „Dabei soll nicht ein neues Museum irgendwo hingebaut werden, wir sehen Potenzial in der Integration auf der Straße.“ Dort haben sich die Studierenden umgehört, was Pforzheimer bewegt. Entstanden ist eine Plakatkampagne. Sichtbar wird ihr Projekt auch durch blaue Ballons, die ab morgen zwischen Inselsteg und Auerbrücke gespannt sind und für die Bürger stehen. Die Studierenden wollen nicht nur sprichwörtlich Brücken schlagen. „Es braucht Treppen und Stege, um die Flüsse zu bespielen“, so Janosch Rohrßen. Unter dem Motto „ Wir 2025“ wollen sie interaktiv Nähe schaffen: „Unsere Ideen sollen etwas mit den Menschen machen.“ Tel

Quelle: Pforzheimer Zeitung

 


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