Provenienzforschung im Schmuckmuseum Pforzheim

Antrag_Provenienzforschung im SMP 18.01.2018

Herrn Oberbürgermeister
Peter Boch
Neues Rathaus
75158 Pforzheim

Pforzheim, den 18.01.2018

Provenienzforschung im Schmuckmuseum Pforzheim

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Boch,

die Gemeinderatsfraktion der Grünen Liste stellt den
Antrag:
Der Gemeinderat beschließt, die Verwaltung wird beauftragt,
1. zu recherchieren, ob es Bundes- oder Landeszuschüsse für eine zeitlich befristete
Stelle zur Provenienzforschung im Schmuckmuseum Pforzheim gibt.
2. diese Stelle einzurichten und

3. die gesamten Bestände auf Ihre Provenienz hin zu prüfen, ob sie infolge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs
verbracht, verlagert oder – insbesondere jüdischen Eigentümern – verfolgungsbedingt
entzogen wurden oder durch andere kriminelle Umstände in den Verlauf gebracht wurden. (NS-Raubkunst, u.a.)
4. dieses Werk in der Lost Art Datenbank zu recherchieren, zu melden und wenn möglich den rechtmäßigen Eigentümer zu ermitteln.
5. diesen Eigentümer zu kontaktieren und das Werk zurückübereignen.
6. Sollte das Kunstwerk weiterhin in der Sammlung des Schmuckmuseums verbleiben dürfen, neben dem Ausstellungsstück eine Anmerkung zu seiner Geschichte anzubringen.
7. Einen Abschlussbericht über diese Arbeit zu schreiben und diesen der Öffentlichkeit an
geeigneten Stellen zur Verfügung zu stellen. (Stadtmuseum, Schmuckmuseum,
Stadtbibliothek…)
Begründung:
„Unter Provenienzforschung versteht man die Untersuchung der Herkunft (Provenienz) von Kulturgütern. Anhand von Merkmalen am Objekt selbst – etwa Beschriftungen,
Eigentumsvermerken, Etiketten, Stempeln, Exlibris, usw., aber auch anhand von Quellen wie Verkaufsunterlagen, Auktions- und Ausstellungskatalogen, Testamenten, Fotografien oder anderen Dokumenten werden frühere Sammlungskontexte eines Objektes rekonstruiert. Die Eigentums- und Besitzverhältnisse werden möglichst bis zum Herstellungszeitpunkt zurückverfolgt oder Ermittlungen zum Verbleib angestellt. Die Provenienzforschung kann die Authentizität von Kulturgütern bestätigen oder widerlegen und auch auf deren (ökonomischen) Wert einwirken. Seit der Jahrtausendwende
dient sie verstärkt der Identifizierung von gestohlenen und geraubten, von NS-verfolgungsbedingt entzogenen oder in bewaffneten Konflikten beschlagnahmten, erbeuteten, erpressten, illegal verschleppten oder zerstörten Kulturgütern“(Quelle: Bestandsaufnahme Gurlitt, Hirmer Verlag S. 334-335 Autorin Meike Hopp)
Zum einen wirkt sich eine geklärte Provenienz auf den Wert des Kunstwerkes aus: Ein lückenloser Stammbaum schließt eher Fälschungen aus, durch kenntnisreiche bekannte Vorbesitzer oder Kunsthändler wird häufig auf die Qualität des Bildes geschlossen.
Zum zweiten hat konsequente Provenienzforschung eine hohe rechtliche und vor allem ethische Dimension, was spätestens seit der Aufarbeitung des Kunstbestands Gurlitt deutlich wird. Im Übrigen wurde im Dezember 1998 auf der „Washington Conference on Holocaust-Era Assets“ (Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust), an der 44 Staaten, zwölf nichtstaatliche Organisationen, insbesondere jüdische Opferverbände, sowie der Vatikan teilnahmen, die sogenannte „Washingtoner Erklärung“ mit elf Leitsätzen unterzeichnet. Damit verpflichteten sich die Unterzeichnenden, Kunstwerke, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt wurden, ausfindig zu machen, die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Erben zu finden und rasch
die notwendigen Schritte zu unternehmen, um zu fairen und gerechten Lösungen zu gelangen. Auch Deutschland hat mit Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung die Verpflichtung übernommen, die Museumsbestände nach NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern zu überprüfen und aufgefundene Kunstwerke an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Am 9. Dezember 1999 wurde in diesem Sinne eine „Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen
Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ abgegeben. Es ist Teil der historischen Verantwortung, dies aufzuarbeiten und es geht dabei auch um die Anerkennung der Opferbiographien. In der Lost Art Datenbank findet sich ein Überblick über die nicht unbeträchtliche Menge an Kunstwerken, auch bedeutender deutscher Museen, deren Herkunft zwischen 1933 und 1945 nicht geklärt ist oder von denen der Raub bekannt ist: www.lostart.de. Ebenso liegen zahlreiche Suchmeldungen dort für Kunstwerke meist jüdischer Provenienz vor, die seit der Nazizeit verschwunden sind. Seit einigen Jahren wird an der FU Berlin speziell für diesen Bereich ausgebildet, in Hamburg wurde jüngst eine Juniorprofessur für Provenienzforschung eingerichtet. Das noch junge Deutsche Zentrum
für Kulturgutverluste sorgt für Dokumentation und Aufklärung, um Völkerverständigung, eine Erinnerungskultur und Transparenz zu gewinnen. Letztlich wird die Provenienzforschung aller Voraussicht nach früher oder später auf Pforzheim zukommen. Viel gewinnen, auch und gerade ethisch, kann die Stadt Pforzheim, wenn sie sich der Aufklärung zeitnah stellt.
Denn gerade im Hinblick auf den 23. Februar und das aktuelle Wiederaufflackern von
nationalsozialistischen Gedanken und Aktionen sollte Pforzheim hier eine wichtige Vorreiterrolle übernehmen, indem sie die Vergangenheit und die Eigentumsrechte der Kunstwerke gründlich klärt, um der Führungsrolle als weltweit einzigartiges Museum für Schmuck gerecht zu werden.

Mit freundlichen Grüßen

Axel Baumbusch            Dr. Eckard von Laue        Emre Nazli

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